Wenn Pädagog*innen in Hamm das „Murtnez Sehcsigogadäp“ erkunden

„Murtnez Sehcsigogadäp“ – wie, bitte?! Ist da jemand nur mal in der Tastaturzeile verrutscht? Oder klingt es nicht doch wie finnisch oder eine andere fremde Sprache? Mit Beispielen wie diesem löst Peter Hubertus immer wieder „Aha-Effekte“ in seinen Seminaren aus. Der erfahrene Pädagoge verdeutlicht damit, wie sich Analphabeten beim Umgang mit der deutschen Sprache tun – erst recht dann, wenn sie aus einem fremden Schrift- und Kulturkreis kommen. Zusammen mit dem Kommunalen Integrationszentrum (KI) Hamm bereitet Peter Hubertus Lehrerinnen und Lehrer auf diese besondere Herausforderung vor.
Und dazu gehört auch der „Spiegelungs-Trick“. Denn „Murtnez Sehcsigogadäp" ist nichts anderes als das Wort „Pädagogisches Zentrum“ rückwärts geschrieben. Die Übung ist simpel, aber wirkungsvoll, stellt Alphabetisierungspädagoge Peter Hubertus immer wieder fest. Auch bei der dreiteiligen Qualifizierung des KI Hamm für Lehrerinnen und Lehrer aus Hamm und Umgebung, die im zweiten Halbjahr des Schuljahres 2018/2019 stattfand.
Man nehme: einen Spiegel, einen Zettel und einen Stift. Man schreibe: einfache Begriffe des Alltags und schaue sich das Wort im Spiegelbild an. Der anschließende Versuch, dieses Wort „aus dem Gedächtnis“ nachzuschreiben, löst schnell Heiterkeit aus. Bei den ersten beiden Buchstaben klappt es noch, danach gerät auch ein erfahrener Deutsch-Lehrer ins Stocken. Mit welcher Linie beginne ich? Wie verläuft der Bogen des zweiten Buchstabens? Wo endet eigentlich der dritte Buchstabe und wo beginnt der Vierte?
Zweitschrift-Lerner im Blick
„Vor solchen und ähnlichen Fragen stehen primäre Analphabeten, also Menschen, die weder mit einem Schrift- oder Zahlensystem vertraut sind“, sagt Julia Hartfiel vom KI Hamm. Sie ist zuständig für die Vermittlung von neu zugewanderten Schülerinnen und Schülern an weiterführende Schulen in Hamm. Ihr Fokus liegt deshalb auf sog. Zweitschriftlerner*innen, die mit einem anderen Schriftsystem aufgewachsen sind.
Die Erfahrung zeigt: Lehrerinnen und Lehrer – vor allem in der Grundschule – vermitteln das Lesen und Schreiben; aber vor allem in der deutschen Sprache. Die besondere Situation von Flüchtlingskindern steht nicht auf dem Lehrplan im Studium oder Referendariat. „Was ist, wenn ein Kind oder Jugendlicher ein asiatisches, kyrillisches oder arabisches, möglicherweise aber auch gar kein Schriftsystem erlernt hat“, fragt Julia Hartfiel.
Im (Schul-)Alltag brauchen die Zweitschriftlerner Zeit und besondere Vermittlungsmethoden, denn sie sind in der Regel aus dem Grundschulalter herausgewachsen.
Den richtigen Umgang mit Fehlern lernen
„Diese Problematik wurde von mehreren Hammer Schulen bei der Aufnahme der entsprechenden neu zugewanderten Schülerinnen und Schülern immer wieder zurecht kritisch angedeutet“, so KI-Mitarbeiterin Julia Hartfiel. „Wir haben daraufhin eine Qualifizierung für die Alphabetisierung von neu zugewanderten Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I und II entwickelt.“
Peter Hubertus, langjähriger Alphabetisierungspädagoge (www.peterhubertus.de), vermochte es, in den drei folgenden Qualifizierungstagen Antworten auf viele Fragen zu geben. Ein zentrales Problem ist die sog. Hyperheterogenität von Lerngruppen. Zu Deutsch: die zugewanderten Kinder und Jugendlichen bringen sehr unterschiedliche Bildungsniveaus und verschiedene Lernvoraussetzungen mit.
Hubertus verglich auch verschiedene Lehrwerke miteinander. An mitgebrachten Schülertexten aus der eigenen Unterrichtspraxis der Teilnehmer*innen wurden Fehlerdiagnostik und mögliche Korrekturhilfen zum Thema gemacht.
Für die Erstellung sehr individueller Arbeitsmaterialien, die jedem Kind mit seinen genauso individuellen Voraussetzungen gerecht werden sollen, kommt es gar nicht mal so sehr darauf an, komplexe Arbeitsblätter oder Ähnliches zu entwickeln. Oft reicht sehr einfaches, alltagsbezogenes Material aus, da es sehr vielfältig einsetzbar ist. Dabei haben sich Platzhalterkarten, die sowohl Stellvertreter für Buchstaben als auch für Silben sein können, als sehr hilfreich herausgestellt.
Bei dem Umgang mit Fehlern unterschied Peter Hubertus sehr deutlich zwischen einem quantitativen Fehlerbegriff (Fehler weichen von der Normschreibung ab; sie decken ein Defizit auf) und einem qualitativen Fehlerbegriff. Die Lehrerinnen und Lehrer wurden daran erinnert, dass Fehler durch ihre Qualität, das heißt durch ihre Art und Weise, den erreichten Stand des Wissens zeigen und nicht nur, dass etwas fehlt bzw. defizitär ist. „Lernende gehen im Lernprozess nie ausschließlich vorwärts“ erklärte Hubertus sehr anschaulich, indem er sich im Raum bewegte. „Manchmal geht der Schüler oder die Schülerin auch wieder einen Schritt zurück oder seitwärts. Das liegt daran, dass die Erlangung von (Rechtsschreib-)Regelkenntnissen hin und wieder mit Rechtschreibausnahmen kollidiert. Fehler können sich während des Lernprozesses verändern.“
Qualifizierung auch 2020 in Hamm
Nicht nur beim Aufdecken und Analysieren von Fehlertypen, auch beim Korrigieren dieser gab es verschiedene Unterstützungsinstrumente an die Hand. Dem typischen „Lehrerimpuls“ – nämlich jeden Fehler sofort korrigieren zu wollen – setzte Hubertus eine andere Methode entgegen. Manchmal reicht eine unterstützende Hilfestellung wie z.B. „Hier müssen zwei Wörter groß geschrieben werden“. Festgelegte Symbole dafür helfen dem Schüler oder der Schülerin den Fehler möglicherweise sogar selbst zu erkennen. So werden Selbstwirksamkeitsprozesse gestärkt.
Die Teilnehmer*innen der Qualifizierung äußerten sich zufrieden. „Alles in allem hat mir das Gesamtpaket der Veranstaltung sehr gut gefallen“, resümierte Marianne Keck von der Friedrich-Ebert-Realschule in Hamm am letzten Veranstaltungstag die Qualifizierung. „Ich habe auf der einen Seite erkannt, dass ich in meinem Unterricht eigentlich schon viel richtig mache und auf der anderen Seite nun noch einige Methoden zusätzlich an der Hand habe, die ich ausprobieren möchte.“
Aufgrund der guten Resonanz wird das KI Hamm die Qualifizierung mit Peter Hubertus schon bald wiederholen - kompakt aufbereitet an einem einzigen Seminartag.
Weitere Informationen bei:
KI Hamm
Julia Hartfiel
Telefon: 02381 175036
E-Mail: julia.hartfiel[-a-t-]stadt.hamm.de