Siegen-Wittgenstein: Flüchtlinge werben als „Filmstars“ für Sprachförderung


Olympiasieger, Ärztin oder Konzert-Geigerin? Junge Flüchtlinge aus Afghanistan, Syrien oder Afrika denken grenzenlos und planen voller Motivation ihr (neues) Leben. Und das beginnt im Kreis Siegen-Wittgenstein. Und zwar mit dem Erlernen der deutschen Sprache. „Ich muss erst perfekt Deutsch sprechen, dann kann ich alles machen“, sagt Alia aus Syrien. In einem gerade veröffentlichten Film erzählen Alia und andere junge Geflüchtete, warum sie Deutsch sprechen und verstehen wollen. Das Kommunale Integrationszentrum (KI) macht auf diese ungewöhnliche Weise Werbung für die Botschaft, dass der Spracherwerb zentraler Baustein der Integration ist.
Sein Humor und seine Lebensfreude wirken regelrecht ansteckend: der 17-jährige Sayed erzählt mit leuchtenden Augen über seine ersten Erfahrungen in Deutschland. „In Deutschland musst Du immer pünktlich sein, immer. Wenn ich einen Termin habe, dann muss ich pünktlich sein.“ Karsten Burkardt hat Sayed kennengelernt. „Er stand schon um Viertel nach Acht auf der Matte, obwohl der Unterricht erst um 9:30 Uhr anfing.“ Der Laune des jungen Afghanen tat das keinen Abbruch. „Es geht nicht, ohne Spaß Deutsch zu lernen“, sagt er mit herzlichem Lachen. Den Spaß merkt man ihm an.

Oder Maamadou, der vor Armut und Verfolgung in seinem Heimatland Guinea flüchtete. Er möchte hier Altenpfleger werden. Doch seine Zukunft sieht er im Sport, genauer: in der Leichtathletik. „Ich will zu den Olympischen Spielen und im Laufen eine Gold- oder Silbermedaille gewinnen“, sagt er, während man ihn durch den Siegerländer Wald entlang der Breitenbachtalsperre laufen sieht.
Zwei Beispiele aus dem Film „An(ge)kommen“ des Filmemachers Manuel Rueda (s. links weiter unten). Die beiden Flüchtlinge sind sog. Seiteneinsteiger: Kinder und Jugendliche, die aus den unterschiedlichsten Gründen und ohne deutsche Sprachkenntnisse „von der Seite“ in das hiesige Schulsystem einsteigen und möglichst schnell den Anschluss schaffen wollen – beim Sprachniveau und in der Gesellschaft.
Lebensgeschichten, die „filmreif“ sind
Seit August 2015 berät das KI in Zusammenarbeit mit dem Schulamt die jungen Menschen, um möglichst eine passende Schule in Siegen-Wittgenstein zu finden. „Im Verlauf dieser Gespräche erhält man einen Einblick in die Geschichte und Erlebnisse der Kinder“, sagt Yvonne Partmann, Leiterin des KI. „Diese Lebensgeschichten sind aufregend, interessant, vielseitig und gehen oft auch zu Herzen.“

Friederike Schlebusch und Karsten Burkardt haben fast 500 solcher Gespräche geführt. Und waren tief beeindruckt von den Schicksalen, von denen sie erfuhren. Etwa von Safiullah, der als Minderjähriger Afghanistan allein verließ und auf der Flucht ein Buch mit deutschen Sprichwörtern fand und auswendig lernte. „Und zwar nicht nur als Worthülse, sondern nach ihrem Sinn“, sagt Burkardt. Es half Safiullah die Angst „vor dieser schwierigen Sprache“ zu überwinden, erzählt er im Film überzeugend. „Ohne Fleiß, keinen Preis.“

Auch der Siegener Filmemacher Manuel Rueda war bei den Dreharbeiten fasziniert von dem Optimismus der jungen Menschen. „Was sie hinter sich haben, war schlimm und strapaziös, trotzdem blicken sie nach vorne“, sagt er. Um der Öffentlichkeit einen Eindruck von diesem positiven Denken und Fühlen der „Seiteneinsteiger“ zu geben, hat er im Auftrag des KI einige der zugewanderten Schüler porträtiert.
Zum Film „An(ge)kommen“ - Größe 280 MB
Zum Film „An(ge)kommen“ - Größe 43 MB
Optimismus, der ansteckend ist
Erstaunlich, wie locker sie nach nur einem knappen Jahr in Deutschland schon über ihre Erfahrungen, Träume und wichtigen Unterstützungselemente auf dem kurzen Integrationsweg im Kreis Siegen-Wittgenstein berichten. Und wie zielgerichtet sie sind. „Ich muss erst perfekt Deutsch sprechen, und dann kann ich alles machen“, sagt die 14-jährige Alia aus Syrien. Sie möchte Ärztin werden.

Für KI-Leiterin Yvonne Partmann ist die zentrale Botschaft des Films, wie wichtig schulische Integration und ein schneller Spracherwerb sind: „Man ist aber erst dann angekommen und kann Wurzeln schlagen, wenn viele Puzzlesteine des gesellschaftlichen Zusammenlebens wie Freunde, Musik, Literatur, Musik, Sport, Partizipation die schulischen Bemühungen ergänzen.“
Friederike Schlebusch hilft deshalb nicht nur bei der Suche nach der richtigen Schule. „Wir besorgen auch schon mal eine Geige oder vermitteln in einen Sportverein.“
Der Film wurde erstmals bei einer Ausstellungseröffnung im Siegener Kreishaus am 27. November der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Schülerinnen und Schülern lasen dabei selbst verfasste Gedichte vor. Die Ausstellung (bis zum 4. Dezember 2016) zeigt künstlerische Arbeiten von Schülern und eindrucksvolle Foto-Portraits des Freudenberger Künstlers Axel Ollenschläger.
Feriensprachkurse „überbucht“
Wie groß die Motivation für den Spracherwerb ist, hatte das Kommunale Integrationszentrum schon vorher festgestellt. Zusammen mit der Volkshochschule (VHS) des Kreises Siegen-Wittgenstein bot das KI Sprachkurse in den Sommerferien für Kinder und Jugendliche ab Klasse 8 an. Damit sollte die für Flüchtlingskinder „unproduktive“ Zeit überbrückt und sinnvoll genutzt werden; eine Zusatzchance, Rückstände bei der Sprache aufzuholen.

Die Resonanz übertraf alle Erwartungen: 80 Jugendliche - aufgeteilt auf vier Kurse mit zwei Niveaustufen - besuchten die Feriensprachkurse im Kulturhaus Lÿz. Weil die Anmeldezahlen aber deutlich höher waren, wurde schnell ein Zusatzkurs eingerichtet. In Kooperation mit der Stadt Siegen und der Universität Siegen fand ein Kurs für ca. 20 weitere Teilnehmer mit Studenten im Jugendtreff „Bluebox“ in Siegen statt. Und in den Herbstferien konnte der Kurs als Fortsetzung erneut angeboten werden. Für die Leiterin des KI, Yvonne Partmann, bestätigt sich damit: „Sprache ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Integration. Ich freue mich, dass so viele junge Menschen Interesse zeigen und in den Ferien zusätzlich lernen.“
Für weitere Informationen Ansprechpartnerin ist:
Yvonne Partmann, KI Siegen-Wittgenstein
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Bildnachweis
Fotos: Axel Ollenschläger