Pflegeplanung für ältere Migranten ist Schwerpunkt 2017 im Kreis Recklinghausen


In diesem Punkt lügt die Statistik nicht: Ältere Migrantinnen und Migranten sind in den nächsten Jahren die Bevölkerungsgruppe mit der höchsten Zuwachsrate. „Viele von ihnen werden dann auf Unterstützung angewiesen sein“, sagt Sabine Fischer – Pflege außerhalb der Familie durch Fachkräfte. Um sie darauf optimal vorzubereiten hat das Kommunale Integrationszentrum (KI) des Kreises Recklinghausen die „Sensibilisierung im Bereich der Senioren/-innen und Pflege“ in diesem Jahr zu einem Schwerpunkt seiner Arbeit erklärt. „Letztendlich geht es darum, das Thema nachhaltig auf die öffentliche Tagesordnung zu setzen“, fordert Sabine Fischer.
Die 55jährige ist Leiterin des Fachdienstes 57 in der Recklinghäuser Kreisverwaltung, zu dem neben dem KI auch die Seniorenarbeit gehört. In der Pflegeplanung verfolgt der Kreis die Linie „ambulant vor stationär“. Die dafür notwendigen Strukturen aufzubauen und zu stärken ist das eine; die Informationen über solche Angebote an die Betroffenen bzw. ihre Familien zu bringen, ist das andere. Es geht um Planung und Beratung; es geht um Fachkräfte, um Migrantenorganisationen; aber vor allem um die betroffenen Menschen selbst. Sabine Fischer will an die Basis.
Sie beginnt nicht bei Null. Seit 1996 bietet Recklinghausen – damals als erster Kreis in NRW – flächendeckend Beratung und Informationen über den Pflegebereich (kurz: BIP) an. Jede der zehn kreisangehörigen Städte hat BIP-Ansprechpartner vor Ort. Lokale Ansprechpartner findet Sabine Fischer wichtig. „Wir wollen diesem Thema ein Gesicht geben.“

Das „BIP-Gesicht“ in Dorsten ist Mechthild Hasenaecker. Die Pflegeberaterin der Stadt arbeitet an der Schnittstelle zwischen Pflegediensten, Verwaltung und Betroffenen. Zweimal im Monat bietet sie im Kultur- und Begegnungszentrum Dorsten-Hervest Sprechstunden an. „Da diese Sprechstunden vor Ort sind, werden diese von den Anwohnern gern aufgesucht und auch Besucher des Kultur- und Begegnungszentrums schauen gern vorbei und informieren sich“, sagt Frau Hasenaecker.
Die Pflegebedürftigkeit wächst
Zuletzt (2013) galten im Kreis Recklinghausen rund 25.000 Männer und Frauen als „pflegebedürftig“ – etwa die Hälfte davon brauchte ambulante oder stationäre Hilfe. Etwa jeder sechste Einwohner hat einen Migrationshintergrund. Dabei ist die Situation von Stadt zu Stadt verschieden. Das eher ländlich geprägte Haltern am See hat einen Migrantenanteil von 8,4 Prozent, die Bergbaustadt Gladbeck kommt auf rund 26 Prozent.

Zwei Gruppen von älteren Menschen haben die Pflegeplaner besonders im Auge: Spätaussiedler der 80er und 90er Jahre aus Osteuropa und die längst ins Rentenalter gekommenen sog. Gastarbeiter der ersten bzw. zweiten Generation. Mit letzteren kommt eine weitere Dimension ins Spiel: „Wir haben es also mit einer wachsenden Zahl von älteren Musliminnen und Muslimen zu tun“, stellt der Bericht für Alten- und Pflegebedarfsplanung des Kreises 2016 fest, an dessen Erstellung auch das KI beteiligt war.
Kultursensibles Handeln ist also gefordert. Schon in der Planung, schon bei Politik und (Kreis-) Verwaltung. Mit der Interkulturellen Öffnung seiner Amtsstuben hat der Kreis Recklinghausen bereits Erfahrungen gesammelt. Er nahm zwischen 2011 und 2014 am sog. Xenos-Projekt des Bundes teil. Von der Gestaltung der Amtsvordrucke, einer Imagekampagne der Behörde, Ausbildungsmarketing, einer Befragung von Migrantenorganisationen, wie sie die Verwaltung sehen bis zum persönlichen Verhalten des einzelnen Mitarbeiters wurde die gesamte Verwaltung auf ihren kultursensiblen Umgang unter die Lupe genommen.
EU-Projekt zur Vielfalt im Quartier
Mit diesen Erfahrungen hatte der Kreis beste Voraussetzungen für die Teilnahme am EU-Projekt „Leben und Vielfalt im Quartier“. Das KI des Kreises gestaltet es inhaltlich aus. Start war im Sommer 2015. Es geht darum, Stadtteile und Wohn-Quartiere - auch mit Unterstützung digitaler Hilfsmittel - so fortzuentwickeln, dass sich die Menschen dort wohlfühlen - egal, in welchem Alter; egal, mit welchem kulturellen Hintergrund.

Die Teilnehmer sind sich einig, dass die Menschen in Europa von der Vielfalt in den Quartieren profitieren, erläutert Sabine Fischer. Schwerpunkt der Recklinghäuser ist dabei das Thema „Migration“. Weitere Partner sind Wodzislaw (Polen), Sörmland (Schweden) und Jelgava (Lettland). Im Juli diesen Jahres ist die große Abschlusspräsentation. Für Sabine Fischer ist das aber noch nicht das Ende des Prozesses. „Wir werden über den Projektzeitraum hinaus das Thema "Barrierefreiheit" weiter bearbeiten“, kündigt sie an und nennt als Beispiele „Leichte Sprache“ und den Zugang zur Verwaltung. „Da wir einen Umbau unseres Kreishauses vor uns haben, werden wir als KI uns auch dort einbringen.“
Beratung in der Nachbarschaft und zuhause
Zurück zum Pflegebereich. Als Türöffner, um Kontakt zu den Betroffenen zu bekommen, greift das KI auf ein Netzwerk von örtlichen Einrichtungen, Gemeinden und Migrantenorganisationen zurück. Sie sind verwurzelt, sie genießen Vertrauen und Ansehen – wie das Beispiel Dorsten zeigt. Hier trifft das 14tägige Beratungsangebot auf besonders starke Resonanz. „Und zwar bei allen - sowohl bei Deutschen als auch bei Migranten, die in der Nachbarschaft wohnen“, wie Frau Hasenaecker betont.
Zunächst wird ein Film gezeigt, der das Gesamtproblem darstellt. Es gibt kurze Einführungen in das deutsche Pflegesystem, die Fördermöglichkeiten und konkreten Angebote vor Ort. In der Gruppe oder in Einzelgesprächen. Kreisweit wurden von den BIP-Stellen 2015 rund 15.000 Kontakte gezählt. In rund 1.100 Fällen haben die BIP-Teams sogar kostenlose Hausbesuche gemacht.
Ansprechpartnerin für weitere Informationen ist:
Sabine Fischer, Kreis Recklinghausen
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Bildnachweis
Foto1 und 3: Kreis Recklinghausen/KI Kreis Recklinghausen
Foto 2: LaKI