Junge Bonner Muslime möchten Normalität


Sie wollten nicht in eine Schublade gesteckt werden, nicht allein auf ihre Religion reduziert werden. Junge Muslima und Muslime aus Bonn diskutierten lange den Umgang mit Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrungen im Alltag. Höhepunkt war eine öffentliche nonverbale Kunstaktion in der Bonner City. Das Ergebnis sorgte für Anerkennung weit über Bonn hinaus. Und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren stolz auf ihr Engagement: Sie fühlten sich nun stärker als Teil der Zivilgesellschaft in ihrer Heimatstadt Bonn. Das Projekt „Collage mit Courage“ wurde von der Integrationsbeauftragten der Stadt Bonn initiiert und wird vom Kommunalen Integrationszentrum (KI) Bonn begleitet.
„Mit 14 oder 15 Jahren fühlte ich mich ausgegrenzt. Ich hatte das Gefühl, die Deutschen mögen mich nicht“, sagt Miloud, ein mittlerweile 19jähriger Projektteilnehmer. Fremd in der Heimat, nur weil Du Muslim bist - so empfanden auch junge Bonner Muslima wie Lina. „Ich habe Erfahrungen mit Rassismus, seitdem ich ein Kopftuch trage.“

Erfahrungen wie diese griff die Stadt Bonn mit dem Projekt „Collage mit Courage“ auf, das heute zur Antidiskriminierungsarbeit des Kommunalen Integrationszentrums gehört (s. PDF-Datei unter dem Beitrag). Diese umfasst neben „Collage mit Courage“ u.a. auch die Mitgliedschaft der Stadt Bonn in der “Europäischen Städtekoalition gegen Rassismus e.V. – European Coalition of Cities Against Racism (ECCAR)”. Das Projekt „Collage mit Courage“ ist als operative Maßnahme im Bereich Antidiskriminierungsarbeit aufgebaut worden und seit 2013 im Schwerpunkt Querschnitt verankert.
Die Projektverantwortlichen möchten engagierten jungen Muslimen einen Rahmen zur Entfaltung bieten. Man müsse verhindern, dass sie sich als Außenseiter und Randgruppe erleben. Dies verstärke die Ausgrenzung nur, glaubt Projektleiterin Zeynep Pirayesh und setzt dagegen: „Wir müssen sie bestärken, ihre eigenständige Rolle als junge Menschen in der Stadtgesellschaft selbstbewusst wahrzunehmen.“ Sie sollen eine Stimme erhalten und darin gestärkt werden, sich an öffentlichen Diskussionen zu beteiligen - und zwar zu allen Themen, die sie interessieren. Oder auf Neudeutsch: „Empowerment“. Zielgruppe des Projekts sind Jugendliche muslimischen Glaubens zwischen 15 bis 27 Jahren.

Malika fühlte sich von diesem Ansatz angesprochen. „Ich möchte als Mensch, als Persönlichkeit gesehen werden – und nicht nur als Muslima.“ Und ihrer Schwester Amina war wichtig: „Ich möchte, dass die Menschen mit uns und nicht über uns reden.“
Mit ihnen kamen rund 80 weitere Jugendliche zur Auftaktveranstaltung im November 2013. „Aus verschiedenen Schulen, Bildungsschichten und Stadtteilen“, sagt Organisatorin Zeynep Pirayesh. Das war auch wichtiges Anliegen der Integrationsbeauftragten der Stadt Bonn, Coletta Manemann. „Von Hauptschülerinnen und Hauptschülern bis zu jungen Akademikerinnen und Akademikern war alles dabei.“ Und die lernten zunächst, untereinander Berührungsängste abzubauen. Unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern waren Schiiten, Sunniten und Aleviten mit türkischer, kurdischer und arabischer Herkunft - Gruppen also, die sich bei den „Erwachsenen“ oft „spinnefeind“ sind. Daher rührt auch der ungewöhnliche Projektname: „Collage mit Courage“ – eine bunte, eine mutige Gruppe.

Im kleineren Kreis wurden dann Themen benannt, sortiert und gewichtet. Erster Höhepunkt nach sechs Monaten: Vor dem damaligen Bonner Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch präsentierten die Jugendlichen ihre Ideen. „So etwas war für die meisten vorher undenkbar“, erinnert sich Zeynep Pirayesh. OB Nimptsch war begeistert und schrieb ins Gästebuch des Projekts: „Ich bin beeindruckt von den Vorarbeiten, die bereits geleistet wurden und freue mich auf die Ergebnisse Ihrer Arbeit.“
Die wurden nun allmählich sichtbar. Die drei gebildeten Arbeitsgruppen (Medien, Identität, Engagement) vertieften mit Unterstützung der Projektverantwortlichen ihre Ziele und setzten sie in Aktionen um. Sie gingen in Schulen, trafen Medienvertreter. Sie beteiligten sich an öffentlichen Diskussionen und knüpften Kontakte zu Institutionen in Bonn. Parallel zu diesen Aktivitäten nahmen die Jugendlichen an Qualifizierungsmaßnahmen teil, wie z. B. zum allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz oder zu Rhetorik. Dort beschäftigten sie sich nicht nur mit dem Thema Diskriminierung, sondern sie hinterfragten auch das eigene Denken und Handeln. Zeynep Pirayesh erinnert sich an die Erkenntnis eines Jugendlichen, der am Ende einer Sitzung feststellte: „Ey, ich hab‘ ja auch Vorurteile.“

Der (vorläufige) Höhepunkt fand im Oktober 2015 in der Bonner City statt. Eine „nonverbale Kunstaktion“ mit dem Titel „Umarme mich!“ Mit einem Theater-Workshop bereiteten sich die Jugendlichen darauf vor. Schauspielübungen wurden gemacht, Körpersprache und Stimmbildung analysiert und trainiert, bevor es auf die „Bühne“ ging.
Und die Bühne war in diesem Fall der bekannte Bonner Münsterplatz. Vor dem Beethoven-Denkmal standen ein junger Mann und eine junge Frau mit ausgebreiteten Armen und verbundenen Augen. Ihnen hing ein Schild um: „Umarme mich!“ Als Zeichen des Vertrauens, der Vorbehaltlosigkeit. Denn es gibt nicht die Bonner Bürgerinnen und Bürger auf der einen Seite und die Muslime in Bonn auf der anderen Seite. Es gibt eine existierende, gelebte Normalität, die nur „ Bonnerinnen und Bonner“ lautet, aber in den Köpfen wieder in Erinnerung gerufen werden muss. Dies ist die Botschaft.

Es dauerte nicht einmal eine Minute bis der erste Bonner auf Hicham zuging und ihn herzlich drückte. Am Ende waren es Hunderte. Quer durch alle Schichten und Altersklassen. Keine Worte, nur Gesten. „Ich war sehr bewegt von den Reaktionen“, sagt einer der Jugendlichen hinterher. Zum Abschluss reihte sich die Gruppe auf der Freitreppe des Alten Rathauses auf und bildete einen Schriftzug, der ihre Intention ausdrückte: „Wir lieben Bonn!“
Für Miloud war die Aktion ein Einschnitt und im Sinne des Projekts ein voller Erfolg. „Es hat mich persönlich gestärkt und mein Selbstbewusstsein gesteigert“, sagt der junge Bonner heute von sich. Die „Umarme-mich“-Aktion von „Collage mit Courage“ und ihre Vorbereitung wurden filmisch auf einer DVD festgehalten; zum Film gelangen Sie hier. Jugendgruppen in mehreren anderen Städten haben die Aktion mittlerweile kopiert.
Das Projekt hat einen starken Netzwerkcharakter und einen stabilen Kern von Jugendlichen, die von Anfang an dabei und fest entschlossen sind, ihre Erfahrungen zu bündeln und in die Fläche zu tragen. Dabei möchten sie die Mehrheitsgesellschaft mitnehmen und vorherrschende Ängste ernstnehmen.
Ansprechpartnerin für weitere Informationen ist
Zeynep Pirayesh, KI Bonn
Weitere Beiträge KI lokal
Bildnachweis
Foto Überreichung der Urkunde zur Mitgliedschaft bei ECCAR in Karlsruhe, Oktober 2015 (von links nach rechts: Repräsentantin der Stadt Stockholm, Repräsentantin der Stadt Bonn/Mariela Georg, Vorsitzender von ECCAR Benedetto Zacchiroli sowie der Repräsentant der Stadt Dortmund): Landeshauptstadt Potsdam
Foto in PDF - Lokales Treffen der Bonner Schulen ohne Rassismus – Schulen mit Courage im April 2016: Bundesstadt Bonn
Weitere Fotos: KI Bonn